Grand Prix Eurovision de la Lala

Nach Vorgabe der aktuellen Schreibeinladung von Christiane sollen die Stichwörter Birke, blumig und entgiften zu etwas Textlichem mit maximal 300 Wörtern anwachsen. Es war erst einmal die „Birke“, die mich zu folgender Glosse animierte.

Chansons galten einmal als intellektuelles Schwergewicht der populären Musik. Ihnen oblag es, den Massengeschmack abseits desjenigen Unwesens, das der Schlager zu treiben pflegte, zu veredeln. Wie die sich aufplusterten, diese Schongsongs! Manch Möchtegern-Tiefsinn waberte da durch den Äther, den ein paar wenige Radiowellen unter sich aufteilten, und wer in der glücklichen Lage war, einen Plattenspieler (mit windschiefem Plattenteller) sein eigen zu nennen und die fünf Mark für eine Single erübrigen konnte, ließ sie darauf zu Tode eiern. (Scherzfrage: Wie viele Rillen hat eine Single und wie viele eine Langspielplatte?)

Chansons waren kein Herz-Schmerz-Tralala, und schon gar nicht trieben sie den Puls mit flottem Polka-Rumtata zur Höchstleitung an. Noblesse war ihre Note. Dass der Wind der Taiga „Sehnsucht“ heißt oder dass eine Birke schon mal dem Gelüst nach Tapetenwechsel erliegen und sich in der Dämmerung auf den Weg wohin auch immer machen kann, erfuhr man exklusiv von ihnen. Ob sich in derlei blumig verklausulierten Botschaften bereits die Konturen für ein jede Vernunft komplett transzendierendes „Wadde Hadde Dudde da“ von Stephan Raab abgezeichnet haben, dürfte strittig sein. Sicher ist jedoch, dass lange vor Modern Talking, die sich mit „Cheri cheri Lady“ die internationalen Charts hochquiekten, Udo Jürgens mit einem frankophonen wie -philen „Merci, Chèrie“ den dazu passenden „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ gewann, der heute ehrlicherweise „Grand Prix Eurovision de la Lala“ heißen müsste, wenn er nicht, den Weg alles Irdischen gen England gehend, zum E(urovision) S(ong) C(ontest) mutiert wäre.

Zum guten Ton eines wahren Chansonnière gehörte übrigens ein von Alkohol und Nikotin zermörserter und einen Umkreis von mehreren Metern kontaminierender Stimmapparat, den gewaltsam zu entgiften heute höchstwahrscheinlich als Notwehr durchginge. Dem Vernehmen nach hat inzwischen sogar Keith Richards beidem freiwillig abgeschworen.

Autor: Emsemsem

Ob gereimt oder nicht: Ich mach's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen und Gedichte gibt. Ein paar Kleinigkeiten gibt es auch auf youtube.de/@emsemsem.

6 Kommentare zu „Grand Prix Eurovision de la Lala“

  1. Vielleicht braucht der „wahre Chansonnière“ den Alkohol, um zu verkraften, dass es neben ihm, als intellektuellen Schwergewicht, noch so etwas Seichtes, wie den herumträllernden Schlager gibt…. .

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  2. Okay, Alexandra und die Knef (ich musste die Birke googeln) sind vermutlich über jeden Zweifel erhaben, aber sonst finde/fand ich es schwer, die Grenze zwischen Chanson und Schlager zu ziehen. Schlager waren mir oft zu seicht (und/oder zu stumpfsinnig), Chansons kultivierten oft etwas gewollt Intellektuelles, Arrogantes, was ich auch nicht immer toll fand. „Wadde hadde dudde da“ könnte ich dagegen immer noch mitpfeifen, und vermutlich auch „Guildo hat euch lieb“ – ich fand beide so schräg, so anti, dass sie schon wieder gut waren 😉
    Sorry für die späte Antwort! 😉
    Nachmittagskaffeegrüße! 😀🌤️☕🍪🌼👍

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    1. Mir stand wohl der Sinn nach Lästern, was aber nicht heißt, dass ich beides, Schlager und Chanson, nicht zu schätzen wüsste. Außerdem: Solange es dafür ein Publikum gibt, gibt es sie. Im übrigen musst Du dich nicht entschuldigen.

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