Kant kann keiner – und mich

Wer Kant nicht lesen will, kann ihn sich auch einfach anschauen: hier das Frontispiz einer Ausgabe seiner Kritik der reinen Vernunft.
(Foto: Bernhard Huber)

Zugegeben, das ist schon ein Datum: Immanuel Kant wird heute auf den Tag genau 300 Jahre alt. Was für eine Nummer! Wer schafft das schon, und ich denke: Das hat er davon, dass er so früh geboren ist, und der schöne Film „Wer früher stirbt, ist länger tot” kommt mir auch noch in den Sinn.

Wie man hört, soll Kant der Aufklärung den gewissen Schub gegeben haben, weil er das Selbstdenken im Gegensatz zum Denkenlassen propagiert hat, woraus manche den Schluss ziehen, die Menschen davor wären allesamt blöde Dödel gewesen, von wegen finsteres Mittelalter und so. Dabei wäre Selbstdenken sogar noch heute, ja gerade heute eine sehr super nützliche Option. Man durchblättere einfach nur eine x-beliebige Zeitung oder suche in was für einem Medium auch immer nach schlichten Fakten, dann weiß man, was ich meine. Da könnte einen glatt das Gefühl beschleichen, ob es richtig war von Kant, vor 300 Jahren zur Welt zu kommen, weil er eben deshalb nun auch schon wieder seit 220 Jahren tot ist.

Auch diese 220 Jahre sind eine beeindruckende Nummer. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass zu seinem doppelten Runden (Herzlichen Glückwunsch übrigens!) nun alle Bücherregale jenseits und diesseits des Weißwurstäquators nach Spuren durchsucht werden, die der Philosoph aus dem damals deutschen Königsberg hinterlassen hat.

Ich denke sowieso, und das ganz selbst, Kant kann keiner, und er mich auch. Denn ich habe es nicht so mit Leuten, die ihre Tage verdenken, um mir dann in hochkomplexen Sätzen mitzuteilen, dass und was sie gedacht haben, selbst wenn sie das „reine Vernunft” nennen, was sie dermaßen schonungslos zerlegen, dass einen die Angst hinsichtlich seines mühsam erworbenen Begriffsvermögens überkommt, und die dann mit etwas herausrücken, was man mit einem Anflug von Bodenständigkeit „Gedankengebäude“ oder mehr abgehoben „System“ nennt.

Ich stelle mir diese seltsame reine Vernunft vor, wie sie wie die Spinne im Netz des Begriffsvermögens sitzt und auf die Eindrücke wartet, die ihr die Sinne zuliefern, um sie zu theoretischen Erkenntnissen oder praktischen Lebensregeln zu verweben. Es ist nur so, dass es auch Dinge außerhalb unserer körperlichen Sinneswahrnehmung gibt, Ideen etwa. Was ist damit? Kein Problem für Kant. Er zaubert einfach, sofern man bei ihm etwas einfach nennen kann, das „Ding an sich“ aus dem Zauberhut seiner Philosophie. Er meint, dass es quasi hinter den körperlichen Dingen geistige, also Dinge an sich gibt, die der Vernunft gewissermaßen als Muster zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe wir das, was wir wahrnehmen, einordnen und begreifen können. Wir wissen nur, dass ein Tisch tatsächlich einer ist, weil er als Tisch an sich wie ein Prototyp bereits in uns „herumgeistert“. So entsteht die Realität durch das wundersame Zusammenspiel von körperlicher Sinneswahrnehmung und geistiger Vernunfttätigkeit.

Wer nun glaubt, ich hätte das verstanden, irrt sich. Es kann gut sein, dass die Profiphilosophen die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn sie sich hierher verirren und das lesen. Aber immerhin habe ich nun etwas zu Kants Dreihundertstem.

Aber ganz ehrlich: Dieses Zerfieseln des Denkens ist schon auch irgendwie komisch. Wenn man nur bedenkt, dass erwachsene Menschen nichts Besseres zu tun haben, als ihr Hirnkastl zu zermartern, um herauszufinden, womit sie sich ihre Zeit vertreiben, nämlich mit Denken! Das ist ungefähr so, als würde man Obelix beim obligatorischen Abschlussbankett erklären, was ein Wildschwein ist.

Wer außer einer handverlesenen Akademikerschar will das auch wirklich wissen? Der Straßenverkehrsordnung ist es wurscht, ob ich die rote Ampel missachte oder nicht, und warum ich sie missachte oder nicht. Ich mag noch so sehr darüber nachdenken, ob es meine Freiheit unzulässig einschränkt, wenn ich aufgrund einer juristisch verbindlichen Regel auf die Bremse treten muss, nur weil dieser blöden Ampel, ausgerechnet wenn ich daherzuckle, der Sinn nach rot steht. Klar, dass meinem Hirnkastl dann nichts anderes einfällt, als die Sinnhaftigkeit einer eingeschalteten Ampel mitten in der Nacht zu hinterfragen, wenn weit und breit niemand zu sehen ist. Nicht einmal Polizei. Ich habe ja Zeit, ich muss warten, und ich kann darauf wetten, dass ausgerechnet jetzt mein Hirnkastl Kant mit seinem Selbstdenken beschwört und einen auf Vernunft macht.

Dabei ist nicht anzunehmen, dass Kant jemals in einem Pferdefuhrwerk bremsen musste, um auf niemanden außer ein rotes „Wechsellichtzeichen“, wie die Ampel laut §37 StVO heißt, Rücksicht zu nehmen. Aber weil er von Verantwortung etwas gehalten hat, hat er seiner Kritik der „reinen“ noch eine der „praktischen Vernunft” an die Seite gestellt. Und die raunt frei nach seinem „kategorischen Imperativ”: Sei Vorbild, auch und gerade wenn dich keiner sieht.

Was lernen wir daraus? Ein bisschen Kant im Alltag kann nicht schaden. Vielleicht steckt in uns allen mehr Kant als wir ahnen. Ganz ohne ihn wären wir wie der Blinde, der sich von einem Blinden führen lässt, bis beide in die Grube fallen.

Nachtrag

Ich habe mich einmal zu einer Zeit, als er noch ein paar Jährchen jünger war, von Kant zu einer Reihe von Geschichten inspirieren lassen. „Kants Kritik meiner reinen Vernunft” heißen sie, und wer will, kann sie auf emsemsem.net, oder direkt hier geballt, finden. Für mich ist das Geschichtenzusammenfabulieren eine Methode, mit deren Hilfe ich ihn vielleicht doch kann: diesen Kant (der irgendwie zu Recht so heißt).

Ach ja, sogar dem von Kant buchstäblich aus-gedachten „Ding an sich“ habe ich meine dichterische Reverenz erwiesen, und zwar hier.

Viel Vergnügen noch mit unserem 300-Jährigen!

Autor: Hu&ers►◄EntnetZungen auf Emsemsem.net

Ob gereimt oder nicht: Hu&er macht's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen, königlich-bayrische Reimungen über den niederbayrischen Kini und Gedichte gibt. Wie gesagt: vorwiegend.

4 Kommentare zu „Kant kann keiner – und mich“

  1. Denken an sich schadet nicht, solange mir bewusst bleibt, dass jeglicher Impuls aus den Tiefen meiner Selbst kommt und nicht Kraft der Gedanken entsteht. Kant – für seine Zeit war er genau richtig, und auch heute noch passt er in die Welt, wenn ich mich ein wenig umschaue 😉
    L.G., Reiner

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