In Sachen Pink Floyd, Beyoncé und Taylor Swift

In den Gründerjahren der Rockmusik sagte man Beatles oder Rolling Stones, Led Zeppelin oder Deep Purple, Creedence Clearwater Revival oder Pink Floyd, und der Kenner wusste Bescheid. Damals, als jeder noch das Wort „Sendeschluss“ kannte, konnte es vorkommen, dass im Radio die komplette Seite einer neuen Langspielplatte gespielt wurde. Ich erinnere mich, auf Ö3, dem dritten Kanal des Österreichischen Rundfunks (damals eine mediale Offenbarung in Sachen Rock), die erste Seite von Pink Floyds „The Dark Side of the Moon“ gehört zu haben. In astreiner Monoqualität versteht sich, aber ich war überaus beeindruckt von dieser irren Mischung aus bekannt und unbekannt, vor allem von dem unglaublichen Gitarrensolo in „Time“.

Aber da war auch dieses friedensselige Happening, das jener Musik damals den Nimbus von jugendlicher Naivität und kapitalismusfernem Idealismus draufgepappt hat und unter dem Namen „Woodstock” zum Inbegriff ewigen Jungseins wurde. Aber natürlich ging es, und zwar nicht zuletzt, schon immer auch ums Geschäft. So naiv und kapitalismusfern war man dann doch nicht. Unsere Träume dienen der Realität stets nur als Fassade, die am Ende jede Idylle zerplatzen lässt wie eine Seifenblase.

Derzeit heißt es Beyoncé hier, Taylor Swift da, und ich gestehe: Bescheid weiß ich nicht. Ich umgehe Trends und Moden möglichst weiträumig. Im Unterschied zu diesen geht es mir ja nicht ums Geschäft. Irgendwie scheinen die beiden durchgestylten Damen tun zu müssen, was sie tun, nämlich „megamäßig“ (Dieter Bohlen) Erfolg zu haben. Unter dieser Prämisse mischen sie derzeit das, was man mit dem Namen „Musikgeschäft” nur noch unzureichend bezeichnet, munter auf wie selten zuvor jemand. Nach dem Motto „Ich bin meine Marke” brechen sie einen kommerziellen Rekord nach dem anderen, einfach indem sie alle Facetten unseres Alltags zu infiltrieren trachten. Deshalb komme auch ich nicht an ihnen vorbei.

Maßstäbe zu setzen, scheint ihr Programm zu sein. Aber Maßstäbe von was? Von Musik? Vom Powerfrausein? Von allem, was recht ist? Wenn John Lennon einst sachlich und nicht böse gemeint feststellte, die Beatles seien populärer als Jesus, so fragt man sich heute, mit wem man Beyoncé und Taylor Swift überhaupt vergleichen kann? Sind sie nicht allem über?

Im Frühjahr 1994, also vor inzwischen 30 Jahren verabschiedete sich Pink Floyd mit dem Album „The Division Bell” in den Ruhemodus. Die Musik darauf kann man nur bedingt vergleichen mit ihren 70er Jahre-Elaboraten, ob diese „The Dark Side of the Moon”, „The Wall” oder sonstwie heißen. Immerhin ist es ein würdiger Abschied. („The Endless River“ 20 Jahre später ist aus meiner Sicht eher ein „The Division Bell“ abrundender Epilog als ein eigenständiges Werk.) Und vor allem ist es das Dokument für das Ende eines bisweilen beschwerlichen Weges, was mit Roger Waters, dem früheren Bassisten, zu tun hat. Ihm wollte man schon noch einmal zeigen, dass man auch ganz gut ohne ihn klarkommt. Waters nämlich hat die Band mehr und mehr zu seinem Soloprojekt degradiert und nach seinem Ausstieg kurzerhand als inexistent betrachtet – allerdings erst, nachdem er vergeblich versucht hatte, die weitere Verwendung des Bandnamens gerichtlich zu verbieten. Die verbliebenen drei Musiker konnten also unbeirrt weitermachen, was sie unter der Ägide des Gitarristen David Gilmour auch taten. Man tourte und lieferte beachtliche Live- und gemütvoll, aber majestätisch dahinschwelgende Studio-Alben ab, denen, so viel Ehrlichkeit muss sein, die dramatischen und ausgreifenden Spannungsbögen früherer Alben und vor allem der experimentelle Esprit fehlen.

Könnte man zum 30jährigen mal wieder aus den Abgründen des CD-Regals holen: The Division Bell von Pink Floyd (Foto: Bernhard Huber)

Das emblematische Cover von „The Division Bell” (Foto) zieren zwei monströse aus Stahlblech zusammengenietete Flachköpfe (im buchstäblichen Sinn), die sich das Gesicht zudrehen. Wer mag, kann darin die beiden Protagonisten der Band, Waters und Gilmour, erkennen. Man könnte das Bild aber auch mit dem noch nicht lange zurückliegenden Fall des Eisernen Vorhangs, der Westen und Osten geteilt hat, in Verbindung bringen. Oder man interpretiert es einfach als Metapher auf die allezeit zu beobachtende Zerrissenheit der Menschheit, sei es im Privatleben oder in der Öffentlichkeit. Immerhin schweben zwischen den offenen Mündern der beiden Blechköpfe Lichtimpulse, was vielleicht einen Dialogversuch andeutet. Dabei passen die Kopf-Konturen zusammen wie die Hälften eines gebrochenen Herzens, was dem Bild einen unfreiwilligen Hauch von Kitsch verleiht. Fast wartet man auf eine Sprechblase, die sich von den Abgründen einer hässlichen Seelenfeindschaft losreißt und, sich ausbreitend, in das wolkenverschlierte Blau des Himmels aufsteigt, um das verlorene Gespräch zweier Seelenverwandter wenigstens zu simulieren. Kurzum: Kommunikation, das Dauerbrennerthema, ist auch das Thema der letzten neuen Platte von Pink Floyd, der natürlich noch zahlreiche Neuauflagen aller früheren einst neuen Platten folgen und gewiss noch folgen werden.

Wie auch immer: Der kolossale Erfolg von Pink Floyd, zu dem auch dieses Album beiträgt, beruht letztlich genau auf dem künstlerischen Hin und Her zwischen Waters und Gilmour, und die „Division Bell“, also wörtlich die Trennungsglocke setzt den künstlerischen Schlusspunkt dieses Hickhacks. Übrigens rufen diese Division Bells im britischen Parlament die Abgeordneten zur Entscheidung.

In Sachen Pink Floyd ist die Entscheidung längst gefallen. Bis heute läuft das Geschäft mit allem, was die Band jemals hervorgebracht hat, bestens, auch was die fortdauernden Soloaktivitäten der noch lebenden drei „Floydianer“ betrifft. Mal sehen, was Beyoncé hier, Taylor Swift da noch zu bieten haben werden, wenn auch sie in ihre historischen Jahre gekommen, also so etwa 80 sind.

Kleiner Nachtrag 1: Mit dem Song „Hey Hey Rise Up“ hat Pink Floyd noch einmal ein markantes musikalisches Statement gesetzt: gegen Putins Einmarsch in der Ukraine. Von Pink Floyd hätte ich so etwas nie erwartet – und von anderen Künstlern habe ich eine ähnliche Geste so sehr vermisst.

Kleiner Nachtrag 2: Ich danke dem Rockmagazin „Eclipsed”, dessen aktuelle Titelgeschichte mich auf die Idee zu diesem Beitrag gebracht hat.

Autor: Hu&ers►◄EntNetZungen ► ► ► Emsemsem.net

Ob gereimt oder nicht: Hu&er macht's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen, königlich-bayrische Reimungen über den niederbayrischen Kini und Gedichte gibt. Wie gesagt: vorwiegend. Übrigens schreibe ich seit 18. Januar 1974.

10 Kommentare zu „In Sachen Pink Floyd, Beyoncé und Taylor Swift“

  1. Beschwingter Streifzug durch Jahrzehnte Musik. Wahrscheinlich ist es sehr normal irgendwann den Anschluss an das allerneueste zu verlieren.Die beiden metallenen Köpfe auf Lila sind ein geniales Gegenstück zu der Holzskulptur ebenso der Hinweis auf die Ukraine als Kornkammer. Soviel ich weiß funktioniert der Getreideexport von dort derzeit ganz gut.

    Sehr gerne habe ich diesen vielseitigen Beitrag gelesen und grüße herzlich auch in Richtung Monika

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  2. Danke für diesen Beitrag. Ohne Pink Floyd hätte mein Mann und ich uns wohl nie getroffen. Es war damals die einzige musikalische Übereinstimmung, die wir hatten und die uns an einem ihrer Konzerte zusammenführte 🙂 .

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  3. ich war bei david gilmour in Wiesbaden und es war großartig und ich werde in Hamburg bei Taylor Swift sein und es wird ein Ereignis, warum eines gegen das andere ausspielen, oder hat dir Taylor Swift persönlich was getan?

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    1. Niemand sollte gegen jemanden ausgespielt werden. Jedem so, wie er es (ver)mag. Und persönlich habe ich weder mit dem einen noch der anderen zu tun, abgesehen davon, dass mir derzeit Taylor Swift quasi von allen Seiten über den Weg läuft, obwohl ich ihr nichts getan habe. Am Ende habe ich nur dem Rechnung getragen, dass ich mit der medialen Umgarnung irgendwie klarkommen muss. Über die Person hinter dem öffentlichen Erscheinen ist damit nichts gesagt. Die kenne ich ja nicht, was auch für Pink Floyd und alle anderen gilt. Dir wünsche ich viel Freude und Vergnügen bei Taylor Swift.

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