Wie im Schnellkochtopf

Die Idee zu diesem Text basiert auf den Wörtern Korsett, rechtsdrehend und dampfen der abc-Etüden von Christiane.

Muss man für die Schönheit wirklich leiden? Kein Dresscode dieser Welt kann doch die ästhetisch motivierte Leidensbereitschaft des Menschen hinreichend erklären. Und überhaupt: Was ist schön?

Eine menschliche Figur etwa, die zwischen den Stäbchen eines festgezurrten Korsetts von ständigen Ohnmachtattacken bedroht ist? Oder die sich in einem wurstpellenähnlichen Kleidungsstück nicht mehr natürlich bewegen lässt? Oder Füßchen in hochhackigen Schühchen, die jeden Schritt zu einer äquilibristischen Herausforderung machen?

Auch die Männermode hat immer wieder versucht, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit auszuhebeln. Von der gepuderten Perücke über ehrfurchgebietende Talare bis zum Vatermörder(!)kragen gibt es alles (Un-)Mögliche, was mir schon beim bloßen Ansehen den Angstschweiß auf die Stirne treibt.

Ich erinnere mich gut, dass meine Erstkommunion kein Vergnügen war. Ein Anzug aus rauer Schurwolle machte diesen Tag für mich, dessen Haut gerade auf Wolle empfindlich reagiert, zur reinen Tortur. Wie soll man da fromm sein?

Nie werde ich begreifen, dass auch die Damen nicht davor zurückschrecken, sich mit dem überflüssigsten aller Textilien, der Krawatte nämlich, die Hälse zuzuschnüren und das auch noch emanzipiert zu finden. Dabei muss man, als hätte man es mit links- oder rechtsdrehenden Milchsäurebakterien zu tun, diesem Stoffstück auch noch hemd- und anlassbezogen den richtigen Spin verpassen. Wikipedia kann man entnehmen, mit wie vielen Knotenvariationen man Luft- und Speiseröhre unter Druck setzen kann. Bei zehn habe ich aufgehört zu zählen.

Es wäre ja zum Mönchwerden, wenn nicht auch hinter Klostermauern strenge Kleidervorschriften herrschen würden. Ich möchte nicht wissen, welche Gewichte Nonnen und Mönche auf ihren gottgeweihten Leibern Tag für Tag hin und herbewegen. Als einer, der das Wort „Hyperhidrosis“ aus leidvoller Erfahrung kennt, würde ich mir unter diesen Stoffdunstglocken vorkommen wie in einem dampfenden Schnellkochtopf. Dann schon lieber FKK. Aber mit der Sonne steht meine Haut auch auf Kriegsfuß.

Schreibeinladung von Christiane

Wieder habe ich für die Textwochen 08 & 09 meine Gedanken sprühen lassen. An dieser Stelle auch ein herzlicher Dank an Christiane, dass sie diese Aktion leitet. Die Wortspende stammt von wortgeflumselkritzelkram. Mit den Worten Strickjacke, trügerisch und entdecken ist mir folgende kurze Geschichte in den Sinn gekommen.

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Nachtrag

Am 28. Januar 2019 habe ich hier über Aster Maria geschrieben, eine Frau, die sich aus mancherlei gründen einen festen Platz in meinem Herzen erobert hat. Sie, die selber im Armenhaus gewohnt hat, hat mir zur Erstkommunion eine Glückwunschkarte geschenkt, die sie bestimmt viel gekostet hat. Aber sie war davon überzeugt, dass man Gott schenkt, was man einem Kind schenkt. Eine andere Bewohnerin des Armenhauses machte es übrigens genauso: Lina Trifterer. Jetzt habe ich diese beiden Karten wiederentdeckt und möchte damit gerne meinen Beitrag von 2019 ergänzen.

Das ist die Karte von Aster Maria.
Das ist die Karte von Trifterer Lina.

Reicher als die Reichsten

Ich weiß fast nichts über diese Frau, aber sie hat einen festen Platz in meinem Herzen. Sie hieß Maria Aster und wohnte im Armenhaus in Arnstorf, einem Markt im niederbayerischen Kollbachtal, in dem ich geboren bin. Armenhaus: So wurde dieses Haus tatsächlich genannt. Niemand hat dieses Wort geringschätzig gebraucht. Armut war kein Makel, und das von der Gemeinde bereitgestellte „Oamahaus“ diente Menschen, mit denen es das Leben nicht gut gemeint hat, als schlichte Bleibe.

Als fromme Frau besuchte sie regelmäßig die Messe. Weil sie aber nicht mehr gut zu Fuß war, bat sie uns Kinder immer wieder um Gefälligkeiten. Einmal sollte ich für sie am Fest der Erscheinung des Herrn, landläufig das Fest der Heiligen Drei Könige, ein Tütchen mit Weihrauch und Kreide weihen lassen, die für die traditionelle Haussegnung benötigt wurden. Ihr Haus freilich war ihr Zimmerchen im Armenhaus. Als ich ihr die geweihten Utensilien brachte, wollte sie mir 50 Pfennige geben, für mich Knirps ein kleines Vermögen. Von meiner Mama wusste ich um die materielle Lage der Armenhausbewohner. Ich sollte deshalb kein Geld annehmen. Da kam man bei dieser Frau an die Richtige. Sie bestand darauf, dass ich das Fuchzgerl einstecken soll. Schließlich gelang es mir, die Münze in einem unbeobachteten Moment unter ein Deckchen zu schieben.

Danach konnte sich meine Mama aber was anhören. „Was man einem Kind schenkt“, so wurde sie belehrt, „schenkt man dem lieben Gott.“ So bekam ich doch das Fuchzgerl, und bis heute beschämt mich so viel Großzügigkeit.

Zu meiner Erstkommunion bekam ich von der Aster Marie die schönste Glückwunschkarte. Auch da hat sie nicht gespart. Sogar ihre Freundin, die Trifterer Lina, ihre Zimmernachbarin im Armenhaus griff für die Kommunionkarte an mich tief in die Tasche. Beide Karten besitze ich noch heute. Ich bewahre alle Kommunionkarten sorgsam auf, weil sie mir alle sehr viel bedeuten. Aber mit diesen Zeilen der Aster Marie ein bescheidenes Denkmal setzen zu können, ist mir ein besonderes Anliegen. Die Aster Marie mag arm gewesen sein, aber wer einen so beglücken kann wie sie, ist reicher als selbst die Reichsten dieser Welt.