Gassigehen mit Giräffchen

Von Giräffchen habe ich bei anderer Gelegenheit schon einmal erzählt. Ich finde, ein weiteres Kapitel passt zu Bild 1 von Myriades Impulswerkstatt. Also schlage ich es auf.

Ich erinnere mich alles in allem gerne an die Zeit meines Studentenlebens in München. Aber nur gelegentlich erzähle ich auch davon, weil es nicht so viel zu erzählen gibt. Ich habe studiert, und das war’s auch schon. Eigentlich. Wäre da nicht Frau Graf gewesen, die mich kostenlos bei sich wohnen ließ – unter einer Bedienung: Ich musste ihr bei Hege und Pflege ihres „Giräffchens“ zur Seite stehen.

Ja, Ihr habt richtig gehört: Ihres Giräffchens. Das war zwar eine Giraffe, aber es war eben eine spezielle Spezies, die deutlich kleiner ist als die Giraffe, die wir sonst kennen. Der Vergleich mit der Größe eines Bernhardiners wäre nicht aus der Luft gegriffen. Deshalb hieß sie Giräffchen.

Frau Graf war damals mit ihrem Giräffchen und mir gerade in ein kleines Anwesen im nördlichen Bereich des Englischen Gartens umgezogen, in dem sich ein einer Kapelle nicht unähnliches Gebäude mit Türmchen befand und in dem Giräffchen wunderbar Platz hatte. Das Praktische daran: Ich konnte Frau Grafs Giräffchen, ohne den Weg über befahrene Straßen nehmen zu müssen, in den Englischen Garten ausführen, bekanntlich einer der größten innerstädtischen Parks der Welt.

Der Englische Garten war fürs Gassigehen mit Giräffchen ideal. In dieser riesigen Open-Air-Mußezone mitten in München ist alles irgendwie anders. Meine anfängliche Scheu, mich mit Giräffchen an der Leine sehen zu lassen, hat sich schnell gelegt. Wer überhaupt von ihm Notiz genommen hat, wird sich wohl eher gefragt haben, ob das eine neue modisch werdende langhalsige Hunderasse ist, die sonst an eine Mischung aus Collie und Bernhardiner erinnerte, vielleicht nur etwas größer. Andere waren nur mit sich selbst beschäftigt, Jogger etwa oder Smombies, die sich für nichts um sich herum interessierten.

Es versteht sich natürlich von selbst, dass ich Frau Grafs Giräffchen nicht ohne Genehmigung der Verwaltung des Englischen Gartens Gassi führen durfte. Jedenfalls fragte Frau Graf erst einmal nach, bevor ich mit ihm das erste Mal hier spazieren ging. Schließlich, so ihr Argument, dürfe man mit entsprechender Erlaubnis den Park sogar per Pferd durchreiten. Die Erlaubnis wurde nach einigem Zögern erteilt, musste aber jährlich erneut beantragt werden. Man machte allerdings zweierlei zur Auflage: Zum einen müsse das Tier daran gehindert werden, das Laubwerk der Bäumen abzufressen, und zum anderen seien im gegenteiligen Fall die Hinterlassenschaften unverzüglich zu entfernen. Das rief Frau Grafs Widerspruch auf den Plan. Sie fragte höflich, aber auch deutlich nach, ob dies denn auch für die Pferde gelte. Heiße das, dass die Reiter im Falle, dass der reitbare vierbeinige Untersatz, seiner Verdauung die Zügel schießen lasse, unverzüglich anhalten müsse, um zusammenzuraffen, was als „Roßbolln“ in den bayerischen Sprachgebrauch Eingang gefunden hat, und zwar bleibend, wie sie hinzufügte. Später sagte sie mir, dass sie bei fortgesetzter Uneinsichtigkeit der Verwaltung bereit gewesen wäre, ihren Anwalt einzuschalten. Denn was für Pferde erlaubt sei, dürfe für Giräffchen nicht verboten sein. Schließlich hätte Giräffchen mehr mit einem Pferd als mit einem Köter gemeinsam.

Beim Futter, ein Thema, das durchaus hierher passt, war Giräffchen zum Glück nicht wählerisch. Im Grund vertilgte sie alles, was grüne Blätter hatte, und alles Grüne, was aus dem Boden spross, besonders wenn es blühte, allem voran Löwenzahn. Es war nicht immer einfach, Giräffchen vom Blätternaschen abzuhalten. Denn wenn Giräffchen entgegen der Vorgaben gerade mit dem für sie typischen Appetit an herabhängenden Ästen herumschnabulierte, konnte es schon sein, dass das Gewächs im Anschluss daran stellenweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt war.

Ich gebe zu, dass das Ganze ziemlich unglaubwürdig klingt. Meinetwegen. Aber es gibt nun einmal Geschichten, die unglaubwürdig klingen, Geschichten sind es trotzdem. Deshalb erzähle ich Geschichten, wann immer mir danach ist, glaubwürdig hin oder her. Man sollte Geschichten einen gewissen Hang zum Wunderbaren durchaus nicht übel nehmen, und dem, der sie erzählt erst recht nicht.

Autor: Emsemsem

Ob gereimt oder nicht: Ich mach's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen und Gedichte gibt. Ein paar Kleinigkeiten gibt es auch auf youtube.de/@emsemsem.

2 Kommentare zu „Gassigehen mit Giräffchen“

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