Ironische Elegie aus der poetischen Tiefebene
Unermüdlich und höchst dankenswerterweise lädt Christiane erneut zur literarischen Improvisation. Vorgegeben sind dieses Mal die Wörter Dichterlesung, genügsam und verkuppeln. Daraus in maximal 300 Wörtern Stimmiges zu kreieren, ist wie immer mit der spannenden Frage verbunden, ob und wie es gelungen ist. Bittesehr!
Wir Dichter sind von Hause aus genügsame Wesen. Wir sparen uns jedes überflüssige Wort, um dem Wesentlichen Ausdruck zu verleihen. Das kann ein Gedicht zu einer geheimnisumwitterten Angelegenheit machen, die manch einer sogar mit Vorsicht genießt. Sie könnten einem ja eine unerwünschte Zutat unterjubeln, wie man das von drittklassigen Lebensmitteln kennt. Dabei will das Gedicht selbst dann noch etwas sagen, wenn scheinbar alles schon aus-gesagt ist. Mit seinen Wörtern formuliert es den Weg aus den Grenzen eben dieser Wörter. Das ist ebenso paradox wie genial.
Das Ziel von Lyrik ist dem jeder Kunstform gleich: Es gilt Geist und Welt zu verkuppeln. In diesem Sinne sollte der Dichter dem Publikum, aber auch das Publikum dem Dichter mit so etwas wie einem Wohlwollensvorschuss begegnen. Was aber, wenn der Funke nicht überspringen will, etwa bei einer Dichterlesung?
Hier böte sich der Vergleich mit Wein an, der in einem kühlen Keller vor sich hin dämmert, bis er im Glas Blume und Farbe aussenden darf – und vielleicht zum Objekt der Investorenbegierde wird. Sollten uns Gedichte nicht auch etwas wert sein?
Leider machen die Verleger einen weiträumigen Bogen um lyrische Schöpfungen. Die Dichter sind im Land der Dichter und Denker nicht mehr wohlgelitten, und wer weiß, wie lange der Denker noch ungeschoren seines Amtes walten darf. Schon jetzt scheint es mit dem Selberdenken nicht mehr weit her zu sein, auch wenn die massenhafte Zunahme von Abitureinsern und Doktortiteln etwas anderes suggeriert.
Ach, wäre das schön, würden die Dichter wirklich um jedes Wort ringen! 😉 Allzuoft, so kommt es mir vor, tun sie es nicht, und da hilft dann auch kein Wohlwollensvorschuss, den ich ansonsten gern zu geben bereit wäre. Nur in deine Schlussklage stimme ich ein: Weder die Dichter noch die Denker sind oftmals sehr wohlgelitten, allerdings aus unterschiedlichen Gründen … 🤔😉
Danke für die Etüde!
Morgengrüße, noch ohne Kaffee ☁️☕🍪
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Da gebe ich Dir recht. Besonders ärgerlich ist der oberflächliche Umgang mit der Sprache bei Leuten, die professionell damit zu tun haben. Daran leidet besonders die Kommunikation, die doch zu den wesentlichen Funktionen unserer Sprache gehört. – Danke für Dein Feedback!
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Ja! 👍
Und besonders die meiner Meinung nach völlig überflüssige Dramatisierung und Zuspitzung. Das spaltet eher, als dass es verbindet, und wäre das nicht viel notwendiger? 😟
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Hat dies auf Emsemsem.net rebloggt.
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Ich dagegen halte es mit Wohlwollensvorschuss schon für wichtig. Es signalisiert doch, dass man sich zumindest auf das Zuhören eingestellt hat. Das Diskutieren einschliesslich Verwerfen oder Zustimmen ist ja dann erst das Ergebnis.
Ich mache meine Meinung daran fest, dass wir ja auch gehandicapten Menschen zunächst immer Wohlwollen zeigen und sie zunächst einmal so akzeptieren, wie sie sich uns darstellen. Und warum sollten wir das Mitmenschen verweigern, die vielleicht nicht ganz so gewandt sich ausdrücken können, aber dennoch möglicherweise eine wichtige Aussage treffen können?
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Ich hoffe, dass ich das auch so ausgedrückt habe. Das ist auch der Grund, warum ich generell sehr viel Sympathie hege für Menschen,die sich lyrisch betätigen, weil ich ironisierend sage: Jeder, der dichtet, dichtet gegen den Stumpfsinn dieser Welt.
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