Begeistert zwängte sie sich in ihren Schneeanzug. Es war Winter und es war kalt. Trotz des Matsches freute sich Alice riesig. Sie durfte endlich ihr niegelnagelneues Fahrrad ausführen.
In den letzten Tagen hat es immer wieder geschneit. Jeden Tag war Alice tief enttäuscht, wenn es zu glatt war. Jetzt waren die Temperaturen endlich ein paar Tage so warm, dass es nicht mehr spiegelglatt war. Hüpfend zog Alice sich ihre kleinen Stiefel an, während sie eine kleine Melodie summte. Stolz beobachtete sie, wie ihr Vater das Fahrrad aus dem Keller hoch hievte. Er stellte es vor ihr hin. Sie konnte es kaum glauben, dass dies ihr Fahrrad war. Bisher hat Alice immer auf fremden Rädern gesessen. Jetzt hatte sie endlich ihr eigenes und war nicht mehr auf die Hilfe von anderen angewiesen.
Ihr Vater erklärte ihr noch einmal, wo sie fahren dürfte. Ja, sie wusste doch in- und auswendig, dass sie die Spielstraße nicht verlassen durfte. Wann ließ er sie denn nun endlich fahren?
Nun war es soweit. Der erste Tritt fühlte sich fast magisch an. Durch eine einzige Bewegung kam sie schon weiter voran als beim Laufen. Sie spürte den prüfenden Blick ihres Vaters im Rücken. Kurze Zeit später hörte sie die Haustür. Sie war nun ganz alleine mit dem Fahrtwind und ihrem Fahrrad. Die anderen Kinder spielten bei den Temperaturen lieber drinnen. Einige Runden fuhr sie in gemäßigten Tempo um den Spielplatz. Immer wieder dieselbe Strecke, immer im Kreis. Als es Alice zu langweilig wurde, erhöhte sie die Geschwindigkeit. Der Wind blies ihr in das Gesicht. Sie jauchzte vor Vergnügen. In den Kurven driftete sie sogar etwas. Sie merkte nicht, wie sie an ihre Grenzen kam, merkte nicht, wann sie die Kontrolle verlor.
Plötzlich lag das Fahrrad zwischen ihren Beinen, vor ihr der Strommast, und sie selbst saß auf dem Hosenboden. Erschrocken schwieg sie einen kleinen Moment. Langsam stand Alice auf und blickte an sich herunter. Als sie realisierte, was geschehen war, liefen schon die ersten Tränen. Ihr Fahrrad schiebend trat sie den kurzen Heimweg an. Zitternd und wie in Zeitlupe hob sie die Hand zur Klingel.
Als der Summer ertönte, erklomm sie die Stufen zur Wohnung im zweiten Stock. Sie nahm kaum wahr, wie ihre Mutter erschrocken den Mund aufriss. Alles schien wie im Nebel abzulaufen. Sie schrie und weinte sich die Seele aus dem Leib. Gehorsam hob Alice ihre Arme und Beine. Langsam wurde das Gewicht um ihren Körper leichter ebenso wie die Last auf ihrer kleinen Seele. Geduldig ließ sie es zu, wie ihre Mutter sie von Kopf bis Fuß abtastete. Nur noch kleine Schluchzer entrannen ihr. Mit dem Handrücken wischte sie sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.
Als ihre Mutter sie kopfschüttelnd ansah und sie entließ, lief sie in ihr Kinderzimmer und spielte selbstvergessen mit ihren Puppen, während sich ihre Mutter um den dreckigen Schneeanzug kümmerte.