Basta!

Myriade legt wieder vier Bilder vor und lädt ein, dazu nach Belieben zu schreiben. Nach langem Sinnen habe ich gemerkt, dass meine Gedanken immer wieder um das vierte Bild kreisen, und folgendes zu Papier gebracht.

Wir können sie weder wollen noch nicht wollen: die Erinnerungen. Es gibt sie einfach. Wir sind von ihnen geprägt, vielleicht sogar durchdrungen.

Deshalb sollten wir das beste aus ihnen machen, zumal sie uns ja auch wertvolle Dienste leisten können, wenn es unsere Pflicht ist, etwas in unserem Gedächtnis zu verankern, also zu lernen. Aber wenn wir unser Gedächtnis nicht permanent hegen und pflegen und wie eine App updaten, versinkt das , was wir wissen, im grenzenlos scheinenden Meer unserer Erinnerungen.

Aber Erinnerungen haben es faustdick hinter den Ohren. Die Monate, bevor ich mein Berufsleben beendet habe, wurde meine Seele von ihnen wie ein Stapel Spielkarten rüde durchgemischt. Abgesehen von ein paar Jobs davor, habe ich exakt 37 Jahre an ein und derselben Stelle gearbeitet. Wer nun „Ach wie langweilig!“ dazwischennölt, dem rufe ich „Selber langweilig!“ zurück. Erstens einmal habe ich meine Arbeit alles in allem immer gerne gemacht und zweitens ist selbst die größte Abwechslung genau genommen auch nur die Wiederkehr des Gleichen. Der letzte Schrei ist irgendwann kein Aufreger mehr und nur noch Lärmbelästigung.

Für mich waren die letzten Wochen vor meinem beruflichen Ausscheiden voller seltsamer Vorkommnisse, die ich besagten Erinnerungen zu verdanken habe. Sie schienen den größten Spaß daran zu haben, Begebenheiten und Begegnungen an die Oberfläche meines Bewusstseins zu spülen, mit denen ich schon längst fertig zu sein glaubte. Plötzlich waren sie zurück auf dem Monitor meines Lebens, und das mit ungebremster und unbremsbarer Kraft.

Gottlob gibt es auch Erlebnisse, die sich fest im Gedächtnis verankert haben und man auf eigene Veranlassung zurückruft. So denke ich, wenn ich zwei Vögel beieinandersehe, beglückt an die Zeit zurück, als ich etwa 9 Jahre alt war und wir in Deutsch eine seltsame Aufgabe gestellt bekamen. Das Thema lautete: Ein Streitgespräch.

Meine Idee dazu war simpel, bedurfte aber einer Klärung. Also meldete ich mich und fragte unsere Lehrerin, ob der Kiebitz ein Zugvogel sei. Als sie bejahte, legte ich los. War sie vielleicht schon durch meine Frage erstaunt, so erst recht, als ich ihr schon bald mein Heft auf den Katheder legte. Jedenfalls begann sie gleich darin zu lesen. Schließlich unterbrach sie meine Mitschüler in ihrer Arbeit, weil ich meinen Aufsatz, der ihr offenbar gefiel, vorlesen sollte. Darin ließ ich eine umtriebige Schwalbe und einen phlegmatischen Kiebitz über die Frage streiten, wann sie am nächsten Morgen in den Süden abfliegen wollten: um fünf oder um sechs Uhr. Ich glaube, es war die Schwalbe, die den Diskurs mit der Festlegung beendete: Um fünf wird geflogen. Basta!

Autor: Emsemsem.net

Ob gereimt oder nicht: Ich mach's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen, königlich-bayrische Reimungen über den niederbayrischen Kini und Gedichte gibt. Wie gesagt: vorwiegend.

3 Kommentare zu „Basta!“

  1. Ja, ja die Pensionierung ist schon ein großer Einschnitt im Leben und die Erfahrung, dass sich Erinnerungen gerade zu einem Zeitpunkt bemerkbar machen, zu dem wir sie gerade nicht unbedingt gebrauchen können, haben wohl alle schon gemacht.
    Die Idee mit den Zugvögeln, die du als Kind hattest, hätte auch einen netten Text ergeben können 😉
    Vielen Dank für deinen Text, er kommt gleich auf die Liste zu den Tauben

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