Meine kleine Geheimniskrämerei

Je mehr ich mich mit der Idee von Christianes abc-Etüden auseinandersetze, desto mysteriöser erscheint sie mir. Aus drei willkürlich dastehenden Wörtern sollen – Abrakadabra! – (bis zu) 300 sinnvoll aneinandergefügte werden, wie dieses Mal aus Geheimkünstler, sperrig und suggerieren.

Mein Geschäft beruht darauf, dass man mir 1. etwas anvertraut und ich es 2. vergesse. Auf meiner Visitenkarte steht etwas altbacken-sperrig: Geheimkünstler.

Eigentlich jedoch bin ich Journalist und betreibe seit inzwischen über fünfzehn Jahren eine kleine Agentur oder, wie ich sie liebevoll nenne, eine Geheimniskrämerei. Ich biete mich an für die Entgegennahme brisanter Informationen, wie sie immer dann anfallen, wenn sich Politiker aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um zu beraten und zu verhandeln – und um unbeobachtet die Fetzen fliegen zu lassen.

Umso peinlicher ist es, wenn doch etwas nach außen dringt. Doch da komme ich ins Spiel, denn mich bindet ein striktes Berufsgeheimnis, das es durchaus mit dem Beichtgeheimnis katholischer Geistlicher aufnehmen kann. Ich nehme Interna nur entgegen, um sie zu vergessen, und ich vergesse präzise und professionell, quasi auf Knopfdruck. Das ist mein Geschäftsmodell. Mein Sortiment umfasst drei Vergessenspakete: das Kompakt-Kurzzeit-, das Ultra-Langzeit- und das Turbo-Totalpaket. Im Falle, dass sich in jemandes Keller die eine oder andere sprichwörtliche Leiche befindet, empfiehlt sich ein maßgeschneidertes Individualpaket.

Auf meiner Kundenliste finden sich nicht nur die großen Fische, sondern auch Politakteure von den hinteren Parlamentsbänken, die ohne meine Dienstleistung platzen würden, weil sie keine Möglichkeit hätten, ihre ganz exklusiven Neuigkeiten aus den zahllosen Gremien, in denen sie mitarbeiten, auszuplaudern, ohne den geballten Zorn der Kollegen auf sich zu ziehen. Zum Glück können sie mir alles anvertrauen, ohne ihrer Karriere auch nur den geringsten Schaden zuzufügen. Ich suggeriere Öffentlichkeit. Dass meine Arbeit auch eine psychohygienische Bedeutung hat, sei nur nebenbei erwähnt. Niemandes Herz muss eine Mördergrube werden, vorausgesetzt, er wendet sich an mich.

Falls Sie noch nie von mir gehört haben, so dürfen Sie das getrost als Beweis für meine absolute Diskretion nehmen. Im übrigen hat jeder etwas zu vergessen. Auch Sie.

Autor: Emsemsem.net

Ob gereimt oder nicht: Ich mach's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen, königlich-bayrische Reimungen über den niederbayrischen Kini und Gedichte gibt. Wie gesagt: vorwiegend.

13 Kommentare zu „Meine kleine Geheimniskrämerei“

  1. Großartig. Tolle Idee! Ich wünsche dir ein florierendes Geschäft – es gibt immer noch viel zu viel in der Öffentlichkeit, was ich wirklich nicht wissen möchte.
    Was hältst du eigentlich in diesem Zusammenhang von Friseuren? 😉
    Herzliche Sonntagmorgenkaffeegrüße 😁🌤️🍃🍂☕🍪👍

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        1. Vor lauter Basteln am Text hätte ich dieses Mal fast zwei Wörter vergessen. Beim Bearbeiten gehe ich schon mal recht radikal vor, so dass ein Abschnitt komplett gestrichen bzw. ersetzt wird, Stichwörter inklusive. Kurz vorm Einschlafen schoss es mir durch den Kopf: Da fehlen doch zwei Wörter.

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  2. Ja, das ist ein guter Beruf! 😃 Und ich könnte mir vorstellen, manchmal, ganz manchmal, wenn es gerade so passt, oder ein „Sprechgeld“ höher ausfällt als ein „Schweigegeld“, dann erinnert so ein echter Geheimkünstler sich plötzlich doch an die ein oder andere Kleinigkeit, die ihm lange entfallen war … 😉😎

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