Diese Geschichte basiert auf Myriades Schreibeinladung. Ich habe mich vom vierten Bild inspirieren lassen, auf dem zwei Tauben auf einem Ast sitzen. Viel Spaß beim Lesen.
„Guten Morgen Luise“, zwitscherte es aus der Ferne. „Guten Morgen zurück“, erklang es frohgemut am frühen Morgen. „Da hast du aber einen schönen Aussichtspunkt gefunden.“ – „Ja setz dich gerne dazu.“ Das ließ sich Frieda kein zweites Mal sagen und flog flink hinzu, bremste mithilfe ihrer Schwingen und des Schwanzes gekonnt ab und ließ sich nieder. „Welch eine wunderbare Aussicht auf den Garten“, lobte sie ihre Freundin erneut und fuhr aufgeregt fort: „Sag mal, hast du schon gehört, dass Elfriede erneut Mutter geworden ist – so spät im Jahr noch. Das ist doch viel zu gefährlich.“ – „Ja, das habe ich auch schon gehört. Sie hat sich schweren Herzens dazu entschieden. Das Nest mit ihren schon fast flügge gewordenen Kindern ist von einem schweren Orkan getroffen worden, so dass es in den Garten der Katze gefallen ist.“ Wie schrecklich! Friedas Gedanken waren von dieser schrecklichen Nachricht so sehr gefangen, dass sie Luise nicht mehr zuhörte. Als Luise sie mit ihrem Schnabel anstupste, schaute sie benommen hoch. Hatte sie etwas verpasst? „Was? Ich war gerade noch in Gedanken an das schreckliche Unglück.“ Luise wiederholte geduldig ihre Frage, ob Frieda denn an einem Geheimtipp interessiert sei. Sie solle es aber nur keinem weiter erzählen. Frieda versprach ihrer Freundin das gerne. Luise hatte ein Plätzchen gefunden, an dem es nur so von Insekten wimmelte. Frieda wusste, wie wertvoll solche Informationen waren, zumal es nun galt, Winterreserven aufzubauen. Herzlich bedankte sie sich bei ihrer Freundin. Um die wertvolle Zeit, die ihnen noch bis zum Winter blieb, zu nutzen, verabschiedeten sie sich und flogen ihrer Wege.
Am Nachmittag fand Frieda kaum noch Futter. Da erinnerte sie sich an das Gespräch am frühen Morgen. Sie versuchte den Weg zu der Futterstelle zu rekonstruieren. Jedoch verflog sie sich zweimal, da Luise schon immer ein Rechts-Links-Problem hatte, das sich leider in der Wegbeschreibung wieder zeigte. Als Frieda letztlich die Futterquelle erreichte, traute sie ihren Augen kaum. Der Garten war verwüstet. Kein einziges Insekt hatte überlebt. Was für ein Massaker musste das gewesen sein! Dabei lernte man doch von klein auf, dass man nicht alles fressen sollte, damit die Nahrung nicht ausgehe. Erschüttert flog sie den kompletten Garten ab, um das ganze Ausmaß zu erfassen. Wer konnte nur zu so etwas fähig sein! Sie war sprachlos. In der hintersten Ecke entdeckte sie schließlich ihre Freundin Luise. Mit hängendem Kopf betrachtete sie die Szenerie. Frieda näherte sich langsam und wollte Trost spenden. Stattdessen wütete Luise und ging mit bitterlichen Vorwürfen auf Frieda los. Nur sie beide hätten von der Futterquelle gewusst. Wie hätte sie die Freundschaft nur so ausnutzen können! Was für einen Verrat sie doch begangen hätte! Ihr aufgeplustertes Gefieder und ihre schlagenden Flügel jagten Frieda derart Angst ein, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Frieda versuchte dennoch, ihr zu erklären, dass sie gerade erst gekommen war. Luise jedoch war so verbohrt, dass sie sie mit vernichtenden Blicken und erbarmungslosem Schweigen bestrafte. Verärgert zwitschernd flog Frieda schließlich weg. Was dachte Luise nur von ihr!
Abends setzte sie sich in ihr Nest und dachte – schon etwas ruhiger – über das Geschehene nach. Es ließ sie nicht los, dass sie als Verräterin abgestempelt wurde. Was war da nur geschehen? Sollte sie dem nachgehen? Sollte sie die Lösung suchen und ihre Freundschaft retten? Andererseits aber saßen die Vorwürfe so tief, dass sie keine Lust hatte, sich vor Luise zu rechtfertigen. Wenn sie ihr nicht vertraute, hätte sie es auch nicht verdient, dass sie um ihre Freundschaft kämpfte. Diese zwei Herzen kämpften stundenlang. Kaum war Frieda eingeschlafen, träumte sie unruhig und wachte wieder mit diesen Gedanken auf.
Morgens fasste sie kühn den Entschluss, für ihre lange Freundschaft zu kämpfen. Sie überlegte, wie sie den Tathergang überhaupt rekonstruieren könnte. Wer könnte so niederträchtig sein? Warum ruinierte jemand eine solche Futterquelle? Mit diesen Fragen im Gepäck sprach sie zuerst sehr vorsichtig mit ihren nahen Verwandten und Freunden darüber. Im Laufe der Zeit hatte sie sogar Spaß daran, einer Spur zu folgen. Die eine Antwort führte zur nächsten und somit fügten sich die Antworten zusammen, als ob sie ein Puzzle lösen würde. Nach gerade einmal einem Tag hatte sie alle Stücke zusammengefügt und sah die Antwort auf all die Fragen. Wie sollte aber Frieda nun mit Luise reden. Diese Aufgabe schien unlösbar, da Luise bisher nur geschwiegen hatte.
Der Zufall wollte es so, dass Frieda Luise auf ihrem Lieblingsplatz entdeckte. Mutig flog sie heran, um die Sache aufzuklären. Als sie Luise aber ansprechen wollte, sah diese verschämt nach unten und rückte weiter von ihr ab. Statt etwas zu sagen, wartete Frieda lieber ab. Es war schon ein Fortschritt, dass Luise nicht weg flog. Nach einer gefühlten Ewigkeit, fing Luise an zu stottern: „Frieda, ich – ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.“ Eine kurze Pause entstand, in der Frieda versuchte, langsam zu Luise zu rücken. „Ich, ich habe ein Gerücht gehört -“ In die nun etwas längeren Pause fiel Frieda nun ein: „Wie konntest du nur so etwas von mir denken?“ Dieser Satz fiel härter aus als er gedacht war. Luise schaute erschrocken auf und versuchte, sich zu rechtfertigen: „Ich, ich hatte doch nur dir davon erzählt. Wie sollte ich da auf die Idee kommen, dass Klara neidisch auf unsere lange Freundschaft ist und sich damit rächen wollte? Woher sollte ich wissen, dass wir an diesem Tag belauscht wurden? Ich, ich habe nur – ich meine: Es tut mir leid, dass ich dich beschuldigt habe. Ich hätte nie an dir zweifeln sollen“ Zerknirscht wandte Luise den Blick ab. „Ich verstehe, wenn du nun nichts mehr von mir wissen willst.“ Frieda jedoch flog auf und setzte sich so, dass Luise ihr in die Augen sehen musste. „Luise, anfangs war ich wegen der Vorwürfe sehr betroffen. Deine Freundschaft jedoch liegt mir so sehr am Herzen, dass ich sie nicht aufgeben möchte, komme was da wolle. Ich hätte an deiner Stelle vielleicht genauso reagiert.“ Überrascht und erleichtert sahen sich beide an und zwitscherten aufgeregt weiter. Am nächsten Morgen saßen sie – wie eh und je – vertraut Seite an Seite, badeten genüsslich in der Sonne und tauschten den neusten Tratsch aus.
Hallo, liebe Monika ! Du bist ja Spezialistin für Tiergeschichten ! Die Idee mit den Taubenintrigen finde ich sehr gelungen und sehr gelacht habe ich über die Taube mit den Rechts-Links-Schwierigkeiten.
Vielen Dank für den tierischen Beitrag. Ende Oktober gibt es eine Zusammenfassung.
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Liebe Myriade,
Vielen dank für deinen Kommentar.
Es hat sich einfach so ergeben, dass zwei Geschichten tierischer Natur waren. Der erste Beitrag mit dem Gedicht war alles anderes tierisch
Es freut mich, dass es dir gefallen hat und du über die Rechts-Links-Schwäche lachen konntest.
Dir einen schönen Freitag.
Liebe Grüße Monika
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