Lilu – Liluland/Teil 2

100000 Millionen Kilometer

„Das Liluland ist ganz weit weg, aber doch sehr leicht zu finden. Ihr müsst nur erst einmal 100 Meter, ach was, Kilometer müsst ihr gehen, und zwar 100000 Millionen Kilometer gera­deaus und dann im­mer die erste Straße links.“

„Das gibt’s doch gar nicht.“

„Du schwindelst uns bloß an.“

„Dann geht plötzlich das Licht aus, und dann ist es furchtbar hell und so kalt, dass euch Eiszapfen an der Nase und an den Ohren wachsen. Und dann wird es wieder dunkel und heiß, dass ihr am lieb­sten alles ausziehen und ganz nackt weitergehen möchtet. Und das könntet ihr auch tun. Denn plötzlich stimmt alles: das Klima, es ist Tag und die Sonne scheint und ihr seid schön angezogen, und alle Menschen sind schön und lieb. Und trotzdem: Irgendwie ist ei­niges verkehrt. Die Autos fahren wie in England links. Und eigent­lich fahren sie überhaupt nicht. Sie stehen ohne Räder auf der Straße, mal sitzen Leute drin, mal nicht. Ich sage euch, da muss man aber lachen, wenn man das sieht.“

„Sowas Blödes gibt’s doch gar nicht.“

„Jedenfalls wohnt da Lilu.“

„Warum?“

„Ach Bea, weil alle Menschen irgendwo wohnen.“

„Warum?“

„Weil sie wo daheim sind.“

„Warum?“

„Du wohnst doch auch wo, bei Mama und bei Papa.“

„Und beim Thimo.“

„Und bei mir!“

„Ja, bei uns allen. In Liluland gibt es ganz viele schöne bunte Papageien.“

„Und Mamageien.“

„Und Thimogeien.“

„Und, und, und Beageien.“

„Ja, ganz viele und bunte. In Liluland ist überhaupt alles so schön! Wenn die Menschen hier wohin wollen, setzen sie sich auf einen Papagei und lassen sich fliegen.“

„Aber das gibt’s doch gar nicht.“

„Die sind doch viel zu groß, die Menschen.“

„Aber ich habe es doch gesehen. Wenn die das Bein heben, um auf den Papagei zu stei­gen, dann werden sie so klein bis sie bequem auf dem Papagei Platz haben. Und außerdem sind da die meisten Men­schen von vornherein klein genug.“

„Papa, du erzählst wieder Unsinn.“

„In Liluland passt eben immer alles. Da möchte ich immer wohnen.“

„Ich auch.“

„Warum bist du dann wieder zurückgekommen?“

„Weil ich bei euch daheim bin.“

Ich weiß nicht, ob die beiden meine Antwort gehört haben. Denn plötzlich erregte eine Katze ihre Aufmerksamkeit, die auf der Wiese neben uns dahinschlich und einem Schmetter­ling auflauerte. Sie spran­gen zu der Katze und brachten sie um ihr Vergnügen, indem sie den Schmetterling samt Katze verscheuchten. Wir legten uns alle drei ins Gras und ich erzählte weiter von Liluland, dem Land meiner Träume:

„In Liluland gibt es nur glückliche und zu­friedene Menschen. Eigentlich kein Wunder, da es auch keine Probleme gibt. Doch, es gibt schon Probleme, aber sie haben keine Macht, das Glück der Menschen zu verwirren oder zu zerstören. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, ich meine die Welt, auf der Liluland liegt, lösen sich die Probleme immer zum richtigen Zeitpunkt buchstäblich in Wohlgefallen auf. Die Fried­fertigkeit der Menschen strahlt aus auf die Tiere, Pflanzen, Häu­ser, auf al­les, auf die ganze Umwelt. Vielleicht tra­gen alle Probleme sogar dazu bei, das Glück in Liluland zu mehren. Jedenfalls wandelt sich hier alles Schlechte um in Gutes.

Aber wahrscheinlich irre ich mich. Der Mensch in unserer Welt neigt leider Gottes nur zu bereitwillig dazu, das Leben anderer Menschen auf die leichte Schulter zu nehmen, im eige­nen jedoch nur in einem fort eine schier untragbare Bürde zu sehen. Deshalb denke ich mir, dass es in Liluland zwar sehr schön ist, aber doch nicht so schön wie im Paradies.“

„Was ist das Paradies?“

„Da fahren wir hin!“

„Ja, das machen wir!“ sagte ich.

„Morgen?“

„Vielleicht. Das kann man nicht genau sagen. Irgendwann sicher.“

„Ich freue mich aufs Paradies.“

„Ich auch.“

„Ich auch, Kinder. Und jetzt schauen wir noch einmal nach Lilu­land. Dazu könnten wir aber ganz gut ein Eis essen. Aber Kinder mögen ja kein Eis.“

„Dooooch!“

„Kinder mögen immer Eis. Hmmm!“

„Kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber wenn ihr meint, dann ge­hen wir.“

Und ich erzählte, erzählte, erzählte, was mir eben so einfiel. Ich musste mich anstrengen, damit die Kinder alles hören konnten. Denn der Verkehr auf der Straße, die wir entlangge­hen mussten, war ziemlich laut.

„Liluland ist ein kleiderloses Land.“

„Warum?“

„Weil es in Liluland keine Kleider gibt.“

„Ist es da so warm, dass man nichts zum Anziehen braucht?“

„Die Liluländer sind nicht nackt, wenn ihr das meint. Jedenfalls sind sie nicht nackt wie wir, wenn wir bis auf die Haut ausgezogen sind. Es ist nur so: Das, was sie anhaben, ziehen sie nie aus. Sie können es nicht ausziehen. Es gehört zu ihnen wie zu uns die Haut. Es sei denn, sie wenden ihren Ausziehtrick an. Denn die Liluländer sind ein trickreiches Volk. Mit Tricks meistern sie das Leben und lösen ihre Probleme.“

„Sind das Zauberer?“

„Ein bisschen schon, aber anders als die vom Zirkus. Sie können nämlich wirklich zau­bern. Ihre Tricks sind echt.“

„Ich möchte auch echt zaubern können.“

„Dann würde ich soooo viel Eis zaubern und einen soooo großen Bauch, damit ich das Eis essen kann.“

Als ob das das Stichwort gewesen wäre, gelangten wir nun in der Eisdiele an, und schon bald schleckten wir unsere Portionen.

„Hast du da auch gezaubert im Liluland?“

„Leider nein. Ihr könnt mir glauben, ich hätte es gerne getan, richtig gezaubert. Ich hab’s versucht. Aber es ging nicht.“

„Du hättest vielleicht erst zaubern müssen, dass du zaubern kannst.“

„Das kann sein. Daran habe ich nicht gedacht.“

„Warum zaubern bei uns die Menschen eigentlich?“

„Richtig zaubern können die ja gar nicht, die Menschen bei uns. Sie führen Kunststücke vor, und niemand merkt, wie es geht.“

„Aber warum zaubern sie dann?“

„Weil sie es wohl gerne echt können möchten. Aber die Menschen in Liluland – die klei­nen und die großen -, wenn sie wollen, zaubern sie sich klein, wenn sie wollen zaubern sie sich groß. Man weiß da eigentlich nie, ob einer klein ist oder groß. Er könnte sich ja ver­zaubert haben. Was Echtes gibt es da gar nicht, nur die Tricks sind echt. Jetzt hört mir mal zu: In Liluland habe ich mir auch gedacht, ich setze mich einfach mal auf einen Papagei und sehe mir Liluland von oben an. Vielleicht schrumpfe ich einfach automatisch zu der richtigen Größe zusammen.“

„Du Papa, wenn die Menschen alt werden, schrumpfen sie.“

„Ja, ein bisschen.“

„Warum?“

„Weil… weil… weil… also, ich erzähl’ euch jetzt besser wei­ter von Liluland. Ich habe mir als erstes einen wunderwunderschö­nen Papagei ausgesucht, der ein bisschen größer war als die ande­ren, falls ich nicht ganz auf die richtige Größe zusammenschrump­fen sollte. Ei­gentlich glaubte ich sowieso nicht an meine Zauber­fähigkeit. Glaubt ihr eigentlich, dass wir Menschen auch irgendwann mal richtig zaubern können?“

„Du Papa, wenn der Gott will, dass ich zaubern kann, dann kann ich es.“

Wieder einmal machte mich ein Kind mit seiner Arglosigkeit sprachlos. Ich sagte nur:

„Ach, ich habe euch so lieb! Ihr seid meine Herzchen!“

Wir machten uns auf den Weg nach Hause.

„Stellt euch vor“, sagte ich, „da stehe ich nun vor dem Papagei, als der zu sprechen an­fängt.“

„Onkel Franz hat auch einen, der sprechen kann.“

„Ja, aber das ist ein Minipapagei, ein Wellensittich oder sowas. Also da spricht mich die­ser Papagei an – und zwar richtig, nicht so kreischend, wie das unsere Papageien und Sittiche tun: ‘Na, mein Kleiner! Wo soll’s denn hingehen?’ Ich fühlte mich natürlich ge­kränkt, ob­wohl das dumm von mir war, weil ich ja klein sein wollte. ‘Von wegen klein! Ich bin im­merhin größer als du’, sagte ich, ‘weil…’ – ‘Pech für dich, weil ich dich dann nicht mit­nehme. Außerdem: Von wegen ‘Von wegen klein’. Stimmt schon!’

Ja, und da schrumpfte ich auch schon in mich zusammen, wurde kleiner und kleiner, bald war ich nicht größer als der Papagei, bald sogar kleiner. Und dann war ich so klein wie… wie … wie ein Fingerhut. Wie Lilu. Ich war natürlich mächtig erschrocken, das könnt ihr euch denken. Ich fürchtete, ich würde nie mehr so groß werden wie ich eigentlich bin, ob­wohl klein sein sehr vor­teilhaft sein kann.“

„Warum?“

„Das erzähle ich euch ein anderes Mal. Jetzt hört zu. Da begann der Papagei wie verrückt zu lachen.

‚Hahaha! Na, Kleiner, immer noch so großspurig? Mein liebes Osterei, jetzt gefällst du mir! Aber mitnehmen tu ich dich trotz­dem nicht.’

‘Aber warum nicht? Das wäre nur fair nach dem, was du mir angetan hast.’

‘Weil ich aber nicht will, weil ich nämlich Lilu bin!’

‘Wer bist du?’

Ich war sprachlos. Dann sah ich, wie sich der Papagei vor meinen Augen verwandelte. Und dann stand er tatsächlich vor mir: mein Freund Lilu, der mich immer wieder in meinem Arbeitszimmer be­sucht.

‘Lilu!’ rief ich aus. ‘Wie ich mich freue, dich zu sehen! Du kannst mir Liluland zeigen!’

‘Du traust dich aber traust du dich. Durch welchen Trick bist du überhaupt hierherge­kommen, du Schreibmaschinenschreiber?’

‘Das war gar kein Trick. Ich kann ja gar nicht tricksen wie ihr das könnt. Ich bin halt ein­fach losgegangen. Allerdings frage ich mich allmählich, ob du nicht mit deiner Trickkiste dahinter steckst.’

‘Du, ich kann dich aus Liluland hinauswerfen, wenn du frech wirst, kann ich dich, hm! Das gehört mir nämlich, das Liluland.’

‘Das gehört dir?’

‘Klar! Warum heißt es wohl Liluland?’

‘Klar’, sagte ich und fragte mich zugleich im Stillen, wem denn wohl Spanien oder Öster­reich oder die Schweiz gehören. ‘Aber Lilu, dann bist du ja der König hier! Wahnsinn, ich hab’ einen König zum Freund!’

‘Ach Quatschheini du! Wer braucht denn hier einen König? Wir ha­ben andere Tricks auf Lager! Komm, jetzt nehmen wir uns einen Pa­pagei und fliegen zum Großen Bernhardini, der in meinem Auftrag alle unsere Tricks verwaltet.’

‘Zu wem?’

‘Zum Großen Bernhardini vom Stamme der Barnherdinis.’

‘Kenne ich nicht.’

‘Du kennst deinen Bundeskanzler, den amerikanischen Präsidenten und diesen und jenen, aber den Großen Bernhardini kennst du nicht. Du solltest dich schämen solltest du dich!’
‘Was kann ich denn dafür?’

‘Du wirst ihn kennenlernen, keine Angst.’

Diese Angst hatte ich ganz bestimmt nicht. Ich hatte mich inzwi­schen schon auf Erleb­nisse und Begegnungen besonderer Art gefasst gemacht hier in Liluland.

‘Lebt der in einem Schloss?’

‘Klar lebt der in einem Schloss.’

‘Und die Tricks?’

‘Wie, die Tricks? Du fragst vielleicht blöd! Die liegen eben in einer Kiste auf dem Spei­cher!’

‘Die möchte ich sehen. Die muss groß sein, die Kiste, nach allem, was ich hier schon er­lebt habe.’

Da wurde er wieder zum Papagei und wir flogen los.

‘Wie lange dauert das?’ fragte ich nach fünf Minuten.

‘So lange es mir gefällt. Warum fragst du schon wieder so blöd?’

‘Weil ich noch nie auf einem Papagei geflogen bin – und ich Angst habe, ein bisschen.’

‘Das schadet dir nicht, das bisschen Angst. Und außerdem bist du bloß neugierig auf die Kiste. Aber meinetwegen: Wir landen.’

Teil 3 folgt nächsten Mittwoch.

Autor: Emsemsem

Ob gereimt oder nicht: Ich mach's und mag's kurz auf Emsemsem.net, wo es vorwiegend Aphorismen und Gedichte gibt. Ein paar Kleinigkeiten gibt es auch auf youtube.de/@emsemsem.

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