Wir haben schöne Orte in Bayern. Oft merkt man denen ihre Schönheit schon dem Namen an. Meine Lieblingsnamen sind nach wie vor Mitterdingharting oder Großdingharting, Orte, die Ludwig Thoma in „Erster Klasse“ unsterblich gemacht hat. Aber Hallbergmoos ist auch recht schön.
Dort gibt es eine Freisinger Straße, eine Ottostraße, natürlich eine Freiherr-von-Hallberg-Straße und ein Volksfest, auf das wir einmal, weil wir ein Plakat gelesen haben, gefahren sind. Ich glaube, dass dieses Volksfest jedes Jahr stattfindet, weil sich das bei einem Volksfest so gehört. Aber wissen tu ich das nicht, weil ich erst einmal in Hallbergmoos auf dem Volksfest war, und es war auch das letzte Mal, obwohl wir dort sogar beim Losen ein wenig gewonnen haben und das Bier so gut war, dass wir insgesamt zwei davon getrunken haben.
Landschaftlich ist es in Hallbergmoos recht schön. Es gibt viele Wiesen, und ich habe ein paar Margariten mit der Wurzel ausgerissen und sie daheim in den Garten gepflanzt. Aber sie sind nicht angesprungen.
Wir haben uns damals auf unseren zehnten Hochzeitstag eingestellt, weil er fällig gewesen ist. Da lese ich plötzlich ein Plakat an einer Litfasssäule und deute auch noch mit dem Finger darauf, weil es in schwarzer Schrift auf leuchtrotem Papier das Volksfest von Hallbergmoos ankündigt, und an unserem Hochzeitstag war sogar der Kindernachmittag.
Der Tag kam. Wir waren auf einen Schlag zehn Jahre lang verheiratet, und es hat geregnet. Deshalb haben wir uns überlegt, dass wir vielleicht daheim bleiben sollten. Aber die Kinder haben es sich anders überlegt, und wir sind in die S-Bahn und nach Hallbergmoos gefahren. Leider war es auch noch kalt. Ich habe mir über die Jacke noch einen leichten Mantel angezogen. Dass meine liebste Frau sich und den Kindern neben Hemd bzw. Bluse nur einen sehr dünnen Anorak angezogen hat, ist eine Tatsache, die ich bis heute nicht verstehe. Vielleicht sollte die Liste der sieben Weltwunder aufgrund dieser sensationellen Tatsache noch einmal geöffnet werden. Normalerweise wird nämlich, auch wenn der schönste Sonnenschein vom Himmel brennt, von meiner Frau die Frage aufgeworfen, ob es den Kindern mit einer kurzen Hose oder einem Röckchen und einem T-Shirt nicht doch zu kalt ist. Jedenfalls gehen wir nie ohne Regenschirm aus dem Haus. Dieses Mal hatten wir natürlich auch Schirme dabei, aber trotzdem war es nicht wie sonst. Nur ich war warm genug angezogen. Ausgerechnet ich, der sonst bei jedem Grad über 15 ein paar Liter mehr Schweiß pro Tag absondert.
Wir werden dieses Volksfest nie vergessen. Es war sehr schön. Wir sind Auto-Scooter gefahren, haben Geld für Lose ausgegeben und ein bisschen was gewonnen, waren im Bierzelt, wo wir zuerst nur etwas getrunken haben, und dann noch einmal hingegangen sind und dann auch etwas gegessen haben. Es war schön. Und kalt. Tags zuvor hatte es 30 Grad, vielleicht nicht ganz. Aber auf dem Volksfest hatte es 15 Grad, vielleicht 17. Und es hat geregnet.
Wer mit der S-Bahn, weil er ein attraktives Plakat gesehen hat, nach Hallbergmoos auf das Volksfest fährt, muss sich darauf einstellen, dass er von der S-Bahn-Haltestelle höchst komfortabel mit einem Bus des öffentlichen Personennahverkehrs fast bis an den Festplatz gefahren wird. Wir haben das auch gemacht. Und natürlich schwebte uns vor, mit dem Bus wieder zur S-Bahn zurückzufahren. Aber dem Bus schwebte etwas anderes vor. Immerhin sind wir seit einigen Tagen wieder wohlbehalten daheim.
Alles Schöne geht einmal zu Ende, so auch dieser Volksfestbesuch. Also sind wir wieder zurück zur Bushaltestelle und warteten. Da kam der Bus von der Gegenrichtung. Wir haben ihn kommen und wieder abfahren sehen. Und warteten. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, rechnet mit Wartezeiten wie der Autofahrer mit Staus. Deshalb warteten wir in aller Ruhe und mit aufgespannten Schirmen. Die Straße war leer und glänzte im Wasser des Regens, der unaufhörlich fiel, und die kalte Luft hatte leichtes Spiel mit der ebensolchen Bekleidung meiner Familienangehörigen. Vielleicht kann ein Psychologe erklären, warum aus der Ruhe des Wartens zunächst sehr sachte, dann aber immer bohrender ein Gefühl auftaucht, das schwer zu beschreiben ist, aber den auf einen Bus Wartenden dazu treibt, einen scheuen Blick auf den Fahrplan zu werfen.
So habe ich geworfen, und meine Frau hat auch geworfen. So ein Fahrplan stimmt doch nicht! Da fehlen ab 19.00 Uhr die Abfahrtszeiten. Was für eine Schlamperei! Wir blickten erneut voller Sehnsucht und Hoffnung auf die Straße. Doch diesen Blick mussten wir schließlich zu der Erkenntnis verarbeiten, dass der Fahrplan, gemessen an der Realität, durchaus seine Berechtigung hatte. Ab 19.00 Uhr kam hier kein Bus mehr vorbei. Ab 19.00 Uhr fuhr der Bus eine andere Strecke.
Dass wir noch nach einem Strohhalm gegriffen haben und von einem Gasthaus aus ein Taxi rufen wollten, was aber nicht gelungen ist, weil die Verbindung schlecht war und weil das Telefon ein teueres Clubtelefon war und wir nur ein Fuchzgerl dabei gehabt haben, sage ich nur der Vollständigkeit halber. Wenn Weihnachten gewesen wäre, hätte sich die biblische Geschichte der Herbergssuche recht nett in unsere Situation gefügt.
Wir sind also zu Fuß weiter. Zur S-Bahn. Eine knappe Stunde. Durch Regen, der Rest meiner Familie auch noch durch Kälte. Ich habe einige Margariten von den Wiesenrändern gepflückt. Dabei stellte ich meiner Frau gegenüber einige tiefschürfende Überlegungen bezüglich ihrer heutigen Entscheidung, die Kleiderordnung betreffend, an. Sogar am FKK-Strand würden die Nudisten im Falle eines plötzlichen Temperatureinbruchs nur noch unter dem Mantel ihrer Leidenschaft frönen. Natürlich erwartete ich eine Erklärung von der Art, es gehe doch in Riesenschritten auf den Sommer zu. Aber nein. Wir seien zu schnell von daheim weggegangen, wies sie mich zurecht.
Da war ich vielleicht froh, dass wir nicht noch schneller weggegangen sind. So hatte meine Familie immerhin noch Zeit, sich wenigstens das Nötigste umzuwerfen. Die Frage, warum gerade ich noch Zeit genug hatte, um mir einen Mantel anzuziehen, kann ich heute nicht mehr beantworten.
(Mein Sohn macht mich übrigens darauf aufmerksam, dass wir, wenn wir daheim langsamer in Richtung Hallbergmoos aufgebrochen wären, den Bus erst recht nicht mehr erreicht hätten. Ich finde, da ist etwas Wahres dran.)